2.8.4 Nationale Strategie zur sozialen Dimension

2015 beschloss die Ministerinnen- und Ministerkonferenz des Europäischen Hochschulraums (EHR) in Jerewan eine Vereinbarung zur Erstellung nationaler – und in weiterer Folge institutioneller – Strategien zur sozialen Dimension (SD) in der Hochschulbildung. Der damals zuständige Bundesminister Reinhold Mitterlehner setzte diese Vereinbarung mit der 2017 veröffentlichten „Nationalen Strategie zur sozialen Dimension in der Hochschulbildung“ um. Ihr Ziel ist, dass die Zusammensetzung der Studierenden auf allen Ebenen der Hochschulbildung (Zugang, Teilhabe, Abschluss) die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegelt. Korrespondierende Zielsetzungen zur SD finden sich im Regierungsprogramm 2020 (s. S. 211ff.), GUEP 2022–2027 (v. a. Systemziele 3 und 7) und in der Wirkungsorientierten Budgetierung des Bundes (z. B. Kennzahl 31.1.5). 

Die Universitätsfinanzierung NEU ermöglicht die Implementierung des SD-Einbehalts von 0,5 % des Globalbudgets in den Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten. Der Budgeteinbehalt ist ein wesentlicher Hebel in der universitätspolitischen Steuerung und kam in der LV-Periode 2019–2021 erstmals zur Anwendung. Ein Drittel der öffentlichen Universitäten entwickelte und implementierte infolgedessen eigene institutionelle SD-Strategien. Die übrigen Universitäten nahmen maßgebliche Vorhaben in die Leistungsvereinbarung auf, die sich z. B. auf Outreach-Maßnahmen, das Monitoring des Studienzugangs sowie die Unterstützung beim Studieneinstieg oder in der Studieneinstiegsphase beziehen. Sämtliche einbehaltenen Mittel in der Höhe von € 45 Mio. konnten infolge der Umsetzungsberichte der Universitäten ausbezahlt werden. Der Einbehalt in der aktuellen LV-Periode 2022–2024 beträgt € 51,5 Mio.; der Schwerpunkt der SD-Vorhaben liegt auf der Konsolidierung bestehender Maßnahmen. Mittlerweile haben mehr als die Hälfte der öffentlichen Universitäten institutionelle Strategien erarbeitet.

Novellierungen zur Studienförderung (s. Abschnitt 8.5) – verbunden mit einer deutlichen Erhöhung der Studienbeihilfe – sind ebenso zu nennen wie die jährlichen Vernetzungskonferenzen, die die Dissemination der Strategieinhalte und Good Practices bei den Umsetzungsmaßnahmen der einzelnen Institutionen fördern. 2020 und 2021 fanden die Vernetzungskonferenzen als Webinare zu den Themen „Integrativer Zugang und breite Teilhabe in Zeiten von COVID-19“ und „Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf vulnerable Studierendengruppen“ statt. Die Vernetzungskonferenz 2022 war wieder in Präsenz an der FH Oberösterreich möglich und widmete sich der Zwischenevaluierung der Nationalen SD-Strategie.

Die Nationale Strategie zur sozialen Dimension in der Hochschulbildung gilt international vielfach als Best Practice (vgl. Salmi 2019: 53ff; EC/EACEA/Eurydice 2022: 22; Eurydice 2020: 116) und führte zu internationalen Projektbeteiligungen: u. a. PLAR-4-SIMP (Peer Learning Activities and Resources for Social Inclusion in Mobility Programmes) unter Projektleitung des Bildungsministeriums von Belgien/Flandern, 3-IN-AT (INternationalisation/INclusion/INnovation: Towards high-quality inclusive mobility and innovative teaching & learning in an internationalised Austrian Higher Education Area) unter Projektleitung von BMBWF und OeAD (bis 2020) sowie die Weiterführung seit 2020 als 3-IN-AT PLUS.

Die Zwischenevaluierung der Nationalen Strategie 2021/2022 (Welp-Park/Preymann, 2022) ergab, dass viele Hochschulen die SD erfolgreich strukturell verankert haben. In den Bereichen Weiterentwicklung und Ausbau von Maßnahmen – v. a. im Outreach (d. h. heterogenitätssensible Information und Beratung von Studieninteressierten) – gab es qualitative Verbesserungen. Bei den neun quantitativen Zielen (z. B. Abbau der Unterrepräsentanz von Studierenden mit Eltern ohne Matura; ausgewogeneres Geschlechterverhältnis in allen Studienfächern; Erhöhung der Hochschulzugangsquote von Bildungsinländerinnen und -inländer mit Migrationshintergrund) gab es – u. a. aufgrund der kurzen Beobachtungsdauer und der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie – wenige Fortschritte. Die Zwischenevaluierung empfiehlt eine bessere Vernetzung entlang der Bildungskette (v. a. beim Übergang Schule/Hochschule); der nicht-traditionelle Zugang zu den Hochschulen, z. B. durch verbesserte Anerkennung beruflicher Erfahrung bei der Studienzulassung, soll leichter werden (vgl. UG-Novelle 2021 zur Validierung Abschnitt 1.2.2). Die Universitäten setzen verschiedene Maßnahmen für die soziale und akademische Integration von Studierenden aus unterrepräsentierten Gruppen: Sie nutzen intersektionale Wege, um die heterogene Studierendenschaft in ihrer Diversität zu stärken, ohne sie durch zu intensives Hervorheben der Unterschiede (z. B. exklusiv weibliche Lerngruppen in MINT-Fächern) noch weiter zu festigen (sog. Othering). Die Institutionen überwachen die Wirkung von Maßnahmen systematisch. Die Evaluierung empfiehlt weiters den Ausbau von psychologischer Studierendenberatung, mehr Diversitätstrainings für Hochschullehrende und die Schaffung von Studienangeboten, die für heterogene Studieninteressierte inhaltlich und organisatorisch attraktiv sind.

Die Evaluierung empfiehlt, weitere Verbindlichkeiten vergleichbar dem Budgeteinbehalt zu schaffen, z. B. in Bezug auf die Managementkultur an den Hochschulen. Eine Weiterführung der Nationalen Strategie ab 2026 könnte die drei Zieldimensionen (Integrativer Zugang; Abbruch verhindern und Studienerfolg verbessern; Rahmenbedingungen schaffen und hochschulpolitische Steuerung optimal einsetzen) verdichten. Eine stärkere Zusammenarbeit mit vorgelagerten Bildungsinstitutionen ist ebenfalls denkbar.