1.2.1 Demografie und Fachkräftemangel
Die Zahl der Studierenden ist v. a. von demografischen Trends und der jeweiligen Bildungsbeteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen abhängig. Laut aktueller Bevölkerungsprognose der Statistik Austria wird die Altersgruppe der 18- bis 30-Jährigen bis 2028 um rund 5 % zurückgehen und ab 2029 wieder leicht ansteigen (Statistik Austria, 2023d). Gleichzeitig steigt das Bildungsniveau der österreichischen Bevölkerung kontinuierlich an: Seit 1981 hat sich der Anteil an Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen von 4,5 % auf zuletzt 19,1 % mehr als vervierfacht und der Bevölkerungsanteil der Gruppe mit einer Pflichtschulausbildung als höchstem Abschluss mehr als halbiert.
Mit dieser Entwicklung liegt Österreich im europäischen Mittelfeld (Statistik Austria, 2023b). Der Anteil der Studierenden nach Geburtenjahrgängen (Summe der 18- bis 25-jährigen Wohnbevölkerung) stieg seit 2015 von 40 % auf aktuell 45 %. Eine höhere Bildungsbeteiligung bekräftigen auch die im Juli 2023 veröffentlichten Ergebnisse der Volkszählung 2021: Vor allem beim Anteil der Frauen gab es eine überdurchschnittliche Entwicklung – von den insgesamt 1.178.348 Personen mit akademischem Abschluss waren 54,1 % weiblich.
Der langfristige Trend bei den Bildungsverläufen geht hin zu höheren formalen Qualifikationen: Jüngere Altersgruppen haben mehr Tertiärabschlüsse; bei den 20- bis 40-Jährigen weisen Frauen deutlich größere Anteile als Männer auf. Männer haben mehr Sekundarabschlüsse als Frauen, insbesondere in der Altersklasse ab 50 Jahren. Insgesamt veränderte sich die Bildungsstruktur bei Frauen in den letzten 50 Jahren viel stärker als bei Männern: 27,9 % der Frauen hatten 2021 nur einen Pflichtschulabschluss verglichen mit 73,0 % im Jahr 1971. Gleichzeitig stieg der Anteil von Hochschulabsolventinnen in der Gruppe der Frauen ab 15 Jahren von 1,0 % im Jahr 1971 auf 16,3 % im Jahr 2021. Bei Männern sank der Anteil von Personen mit einem Pflichtschulabschluss als höchstem Abschluss von 48,9 % (1971) auf 20,8 % (2021), während der Anteil der Hochschulabsolventen von 3,5 % auf 14,4 % stieg. Bei Männern entwickelten sich die Bildungsverläufe in dieselbe Richtung wie bei Frauen, jedoch langsamer (Statistik Austria 2023f und 2023g).
Der Zehnjahresvergleich im nationalen Hochschulsystem zeigt einen leichten Rückgang bei der Anzahl der belegten ordentlichen Studien: Im Wintersemester 2011/12 lag die Zahl über alle Teilsektoren hinweg bei 405.499; im Wintersemester 2021/22 auf 399.804 (-1,4 %). Governance-Maßnahmen wie der Gesamtösterreichische Universitätsentwicklungsplan (GUEP; s. Abschnitt 2.2) oder Initiativen wie der Dialog Hochschulpartnerschaft sahen durch den Ausbau der Fachhochschulen langfristig eine Entlastung des Universitätssystems vor, die sich bestätigte: An den öffentlichen Universitäten sank die Zahl der ordentlichen Studien von 345.859 im WS 2011/12 auf 296.111 im WS 2022/23 (-14,4 %), an den FH stieg sie im gleichen Zeitraum von 39.276 auf 58.726 (+50,0 %). Ein starker Anstieg zeigte sich bei den PH: 2011/12 gab es 13.696 ordentliche Studien, 2021/22 waren es mit 20.053 um 46 % mehr. Die Privatuniversitäten hatten 2011/12 6.668 ordentliche Studien und 2021/22 mit 16.073 um 141 % mehr (Statistik Austria 2023b). Die öffentlichen Universitäten stellten 58 % des Studienangebots und bildeten 73 % der ordentlichen Studierenden aus.
Die Hochschulprognose 2023 der Statistik Austria bietet einen Ausblick auf die Entwicklungen bis zum Studienjahr 2041/2042. Die Zahl der ordentlichen Studien insgesamt wird als weitgehend stabil prognostiziert. Der Rückgang von Studierenden an Universitäten wird sich in nächster Zeit in abgeschwächter Form fortsetzen. Ein Anstieg in den anderen drei Hochschulsektoren – FH, PH und Privatuniversitäten – wird den Rückgang kompensieren (s. Abschnitt 8.2) .
Die Ergebnisse der Volkszählung 2021 der Statistik Austria dokumentieren den starken Einfluss des Bildungsniveaus auf die berufliche Karriere: Während die Erwerbstätigenquote der 25- bis 64-jährigen Personen mit Pflichtschulabschluss bei 61,2 % liegt, beträgt diese bei den Personen mit Hochschulabschluss über 85,2 %. Bei den Männern mit Hochschulabschluss ist die Erwerbstätigenquote in der Gruppe der 50-Jährigen mit 90,3 % am höchsten; Männer mit Matura haben die höchste Erwerbstätigkeitsquote von 89,5 % in der Gruppe der 49-Jährigen. Bei den Frauen mit Hochschulabschluss liegt die höchste Erwerbstätigenquote mit 90,2 % ebenfalls in der Gruppe der 50-Jährigen; Frauen mit Matura haben mit 49 Jahren die höchste Erwerbstätigenquote von 86,9 %, bei Frauen mit Lehr- oder BMS-Abschluss liegt die höchste Erwerbstätigenquote bei 45 Jahren mit 87,3 %, während Frauen mit einem Pflichtschulabschluss als höchstem Abschluss mit 50 Jahren die höchste Erwerbstätigenquote von 70,4 % aufweisen. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern in Bezug auf die Erwerbstätigenquote nimmt mit steigendem Bildungsniveau ab: Bei Personen mit Hochschulausbildung sind die Erwerbstätigenquoten von Frauen und Männern – mit Ausnahme der über 60-Jährigen – annähernd gleich. Ebenfalls deutlich erkennbar ist, dass Personen mit Hochschulabschluss wesentlich länger im Erwerbsleben bleiben: Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-jährigen Männer mit Hochschulabschluss liegt bei 76,5 %, die der Akademikerinnen bei 50,9 %; Personen mit Matura liegen in dieser Altersgruppe mit 60,9 % bei den Männern und 27,8 % bei den Frauen im Mittelfeld. Bei 60- bis 64-jährigen Personen mit Lehr- oder BMS- bzw. Pflichtschulabschluss liegen die Erwerbstätigenquoten der Männer bei 38,3 % bzw. 34,6 %, jene der Frauen bei 18,7 % bzw. 14,1 %. Personen mit Pflichtschulabschuss als höchstem Abschluss haben im Vergleich zu Akademikerinnen und Akademikern ein viermal so hohes Arbeitslosigkeitsrisiko (Statistik Austria 2023g).
Arbeitsmarktrelevanz von Hochschulbildung
Besonders relevant für Wirtschaft und Gesellschaft sind die Übergänge von Studieninteressierten in das Hochschulsystem und von Absolventinnen und Absolventen in die Arbeitswelt. Das OECD-Projekt „Labour Market Relevance and Outcomes – LMRO“ (OECD, 2022) analysierte Steuerungsinstrumente und -maßnahmen an dieser Schnittstelle. Österreich war explizit zur Teilnahme eingeladen, weil LMRO auf den Ergebnissen von zwei früheren Projekten aufbaut, an denen das Land beteiligt war: HEInnovate mit dem Review „Supporting Entrepreneurship and Innovation in Higher Education in Austria“ (vgl. UB BMBWF 2020: S. 349f) und EUROGRADUATE (https://www.eurograduate.eu/), ein Pilotprojekt zur Befragung von Hochschulabsolventinnen und -absolventen 2018 in acht Pilot-Ländern (European Commission, 2020). Die OECD analysierte gemeinsam mit der Europäischen Kommission und teilnehmenden Hochschulen in Ungarn, Slowenien, Portugal und Österreich Maßnahmen in den Bereichen Teaching/Learning, Curricula und Skills, Kooperationen, Information und Beratung für Studienanfängerinnen und -anfänger (WPZ Research GmbH, n. d.) .
Die OECD identifizierte fünf Herausforderungen für das österreichische Hochschulsystem:
- lange Studiendauer
- Unterrepräsentanz von Studierenden diverser sozialer Backgrounds im Hochschulsystem
- mangelnde Arbeitsmarktakzeptanz von Bachelor-Abschlüssen bei Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bzw. Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen.
- Herausforderung für Hochschulen, arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten/Fertigkeiten zu identifizieren, in der Lehre umzusetzen und potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern zu kommunizieren
- hohe Arbeitsmarktnachfrage nach Informations- und Kommunikationstechnik(IKT)-Absolventinnen und -Absolventen bei stagnierender Studierendenzahlen auf niedrigem Niveau (besonders Frauen)
Aus der Analyse (OECD, 2023) ergaben sich Empfehlungen in vier Bereichen mit Fokus auf institutionellen Praktiken und Prozessen, um die Arbeitsmarktrelevanz von Hochschulbildung zu verbessern. Vernetzung, Peer-Learning und Zusammenarbeit mit externen Stakeholdern sind die wichtigsten Ebenen der OECD-Empfehlungen. Diese lauten wie folgt:
- Monitoring von Arbeitsmarktentwicklungen: Hochschulen, Industrie und öffentliche Organisationen verfügen über aussagekräftige Instrumente, um aufkommende Skills-Anforderungen am Arbeitsmarkt zu identifizieren.
- Begleitung bei der Studienwahl: Hochschulen kooperieren mit Schulen und weiteren Stakeholdern – u. a. im MINT-Bereich – und entwickeln qualitätsvolle Informationsplattformen weiter. Sie bieten u. a. auch speziell Informationen für Personen, die zur Höherqualifizierung und Weiterbildung an die Hochschule zurückkehren (inkl. Studienunterbrechungen und Drop-outs).
- Unterstützung von Studierenden beim erfolgreichen Abschluss und Berufseinstieg: Diese Maßnahmen zielen darauf ab, Studierende im Studium zu halten, diversitätssensitiv zu lehren und die universitäre Karriereberatung laufend weiterzuentwickeln.
- Anpassung des Studienangebots an neue Arbeitsmarktanforderungen: Informationsplattformen für Studienberatung reflektieren aktuelle Informationen zu arbeitsmarktrelevanten Erweiterungscurricula.
Der OECD-Bericht nennt als Best-Practice-Beispiele die vom BMBWF anschubfinanzierten Projekte ATRACK (Statistik Austria, 2023a) im Bereich Monitoring von Arbeitsmarktentwicklungen, „Studieren probieren“ (https://www.studierenprobieren.at/) und die Studienplattform der ÖH (https://www.studienplattform.at/) sowie IMST (Innovations Make Schools Top, https://www.imst.ac.at/) für den Bereich Begleitung bei der Studienwahl und CTS Wien (Center for Technology and Society, TU Wien, Uni Wien, FH Technikum Wien, FH Campus Wien [https://cts.wien/]) für den Bereich Anpassung des Studienangebots an neue Arbeitsmarktanforderungen.
EUROGRADUATE (Pilot II) 2022
Zusammen mit 16 weiteren Ländern nahm Österreich am ERASMUS+-Projekt EUROGRADUATE (Pilot II) 2022 teil, das die Empfehlung des Europäischen Rates von 2017 zum Career-Tracking von Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen (2017/C423/01) seitens der Europäischen Kommission wiederaufnimmt. Ziel der Studie ist die Gewinnung von Daten über Berufseinstieg und Karriereverlauf von Universitäts- und Hochschulabsolventinnen und -absolventen. Die Resultate erlauben einen nationalen und internationalen Vergleich über Hochschultpyen und Studienfächer hinweg. Die Ergebnisse der Auswertung fließen in die Studienangebotsplanung und Erstellung der Curricula ein. Bis Mitte 2024 werden Projektergebnisse zur Befragung und zur Arbeit des European Network of Graduate Tracking zur weiteren Implementierung der Ratsempfehlung vorliegen. Die Statistik Austria führte die EUROGRADUATE-Befragung 2022 durch und vervollständigte die Ergebnisse mit einer nationalen Analyse.
Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel
Empirische Studien belegen, dass dynamische, wissensbasierte Volkswirtschaften ausreichend hochqualifizierte Arbeitskräfte benötigen; Arbeitsmarktlücken müssen schnell geschlossen werden. Der erhöhte Fachkräftebedarf in Österreich hängt stark mit der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung, den demografischen Rahmenbedingungen und dem Wandel bei der Erwerbstätigkeit in den letzten Jahrzehnten zusammen.
Die Statistik Austria sieht in verschiedenen Berufsgruppen einen bestehenden bzw. zukünftigen Mangel an Fachkräften (Statistik Austria & Institut für Höhere Studien, 2023). Im Unterschied zu Personalmangel und Rekrutierungsschwierigkeiten in einzelnen Unternehmen oder Branchen bedeutet Fachkräftemangel, dass die nationale oder regionale Nachfrage nach bestimmten Qualifikationen das Angebot längerfristig wesentlich übersteigt. Die Frage, ob in einzelnen (akademischen) Berufen ein erhöhter Fachkräftebedarf existiert, ist nicht nur für die Bildungspolitik, sondern auch für Policy-Bereiche von Arbeitsmarkt- bis hin zu Migrationspolitik relevant. Gleichzeitig können aktuelle Entwicklungen wie konjunkturelle Schwankungen oder wirtschaftspolitische Eingriffe während der COVID-19-Pandemie die konkrete Identifikation von Fachkräftemangel erschweren (ebd.).
Auch ohne die Folgen der COVID-19-Pandemie und des Kriegs gegen die Ukraine war der Fachkräftemangel in Österreich innerhalb der Berichtsperiode auf einem Allzeithoch und wird allein aus demografischen Gründen in den nächsten Jahren weiter zunehmen (Dornmayr & Riepl, 2022). Die Zahlen zu den offenen Stellen innerhalb der Berichtsperiode belegen diese Entwicklung: 2022 waren durchschnittlich 206.500 Arbeitsplätze in Österreich unbesetzt. Dieser Wert liegt 41,4 % über dem Vorjahresniveau und 61,1 % über dem Vor-Pandemie-Niveau von 2019 – es ist der bis dato höchste Wert in Österreich. Die Offene-Stellen-Quote – der Anteil der offenen Stellen unter allen verfügbaren – weist ebenfalls auf Engpässe beim Arbeitskräfteangebot hin: Sie ist auf 4,8 % gestiegen (Statistik Austria & Institut für Höhere Studien, 2023). Das Arbeitsmarktservice (AMS) und das BMAW entwickelten gemeinsam ein Engpassindikatoren-Modell („Fachkräftebarometer“), das gezielt Engpässe identifiziert. Auf Berufsebene liefert es zeitnah Daten zu Fachkräfteengpässen; die Daten sind quartalsweise für Gesamtösterreich und die Bundesländer verfügbar. Laut den Ergebnissen (BMAW, 2023) gibt es zumindest in einigen technischen Berufen mit akademischer Ausbildung Hinweise auf kurzfristige Fachkräfteengpässe.
Die Bundesregierung forciert im Regierungsprogramm 2020–2024 die MINT-Offensive im Hochschulbereich sowie den Ausbau der MINT-Fachkräfte im Schulbereich. Im Berichtszeitraum erzielten die Maßnahmen im Hochschulbereich schon deutliche Fortschritte bei der Behebung des Fachkräftemangels in der Informationstechnologie: Dazu gehören neue Studienprogramme an den öffentlichen Universitäten und verbesserte Rahmenbedingungen in der Informatik. Im Wintersemester 2019 begannen erstmals 2.000 Studienanfängerinnen und Studienanfänger an den öffentlichen Universitäten ein Bachelorstudium Informatik, im Wintersemester 2023 waren es bereits 2.466. Informatik ist somit auf Platz 2 der beliebtesten Studienfächer an den öffentlichen Universitäten vorgerückt. An den Fachhochschulen ist die Zahl der Informatik-Beginnenden (Bachelor) um 3,2 % von 1.762 im Wintersemester 2021 auf 1.879 im Wintersemester 2023 angestiegen. Bis 2027 wird der Bund insgesamt 2.625 zusätzliche FH-Studienplätze finanzieren; der Schwerpunkt liegt im MINT-Fokusbereich und auf den Querschnittsthemen digitale und ökologische Transformation.