1 Herausforderungen und Entwicklungen
In Österreich steht die Steuerung des Universitätssektors vor der Herausforderung, institutionelle Autonomie, gesellschaftliche Anforderungen und Entwicklungsnotwendigkeiten in ein ausgewogenes Verhältnis zu setzen. In einer sich rasch wandelnden Welt müssen Universitäten sowohl unabhängig als auch responsiv sein, um Wissenschaft und Forschung zukunftsorientiert zu gestalten.
Der Universitätsbericht spiegelt die Leistungsfähigkeit einer Universitätslandschaft wider, die auf akademische Exzellenz und Zugänglichkeit setzt, und thematisiert gleichzeitig wie die Hochschulen mit den dynamischen Veränderungen ihrer Umwelt – wie der digitalen Transformation und dem Klimawandel – umgehen. Dabei stehen Fragen im Fokus, wie Universitäten ihre Bildungsangebote so steuern können, dass sie nicht nur auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren, sondern auch aktiv zur gesellschaftlichen Nachhaltigkeit beitragen. Die Steuerungsmechanismen, die der Staat zur Lenkung des Hochschulsektors einsetzt, sowie die Spannungen zwischen staatlicher Kontrolle und akademischer Selbstverwaltung werden ebenfalls betrachtet.
Abschließend gibt der Bericht einen Ausblick darauf, wie der österreichische Universitätssektor seine Innovationsfähigkeit weiter stärken und damit seine Rolle als wichtiger Akteur in einer zunehmend von Bildungstechnologien und Künstlicher Intelligenz geprägten Gesellschaft festigen kann. Initiativen wie die Gründung des Institute of Digital Sciences Austria (IT:U) stehen dabei exemplarisch für einen fortschrittlichen Ansatz, durch den Österreichs Position als Wissenschafts- und Forschungsstandort weiter ausgebaut werden soll.
Gastbeitrag
Kurzbiografie Dr Manja Klemenčič (for the original English version see Anhang)
Dr. Manja Klemenčič forscht, lehrt und berät in Studien zur Hochschulbildung an der Fakultät für Geistes- und Naturwissenschaften der Harvard-University und ist als Beraterin für Hochschulpolitik und -strategien tätig. Sie hat über 150
Publikationen veröffentlicht und hielt über 80 Vorträge und Vorlesungen zu einem breiten Spektrum von Hochschulthemen, darunter institutionelle Forschung und Qualitätssicherung, Internationalisierung und verschiedene Aspekte von Hochschulreformen. Sie ist regelmäßig als Beraterin für die Europäische Kommission und andere internationale Organisationen, Regierungen, Qualitätssicherungsagenturen und Universitäten tätig. Klemenčič ist Herausgeberin und Mitherausgeberin verschiedener Zeitschriften und Publikationen und wurde für ihre in Harvard angebotenen Kurse mit dem Harvard-Preis für hervorragende Lehre ausgezeichnet. Fünfmal wurde sie durch die Abschlussklassen in Harvard Yearbook Publications zu einer der einflussreichsten Professoren gewählt ('19, '20, '21, '22, '23).
Steuerung der Hochschulbildung in Österreich: Die Balance zwischen institutioneller Autonomie, gesellschaftlichen Herausforderungen und Entwicklungsbedarf
Der Universitätsbericht des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung ist eine verdienstvolle Publikation. Er vereint eine Bestandsaufnahme der Leistungen des österreichischen Hochschulsystems in den letzten drei Jahren und reflektiert seine Zukunftsfähigkeit angesichts interner und externer Entwicklungen, die das System beeinflussen. Der Bericht zeichnet das Bild eines gut entwickelten Hochschulsektors mit einer starken Tradition akademischer Exzellenz und des Engagements für eine zugängliche Hochschulbildung. Er verweist auf die Herausforderungen und Entwicklungen, von globalen - wie dem Krieg in der Ukraine, der COVID-19-Pandemie, der steigenden Inflation, dem Klimawandel, dem schwindenden Vertrauen in die Wissenschaft und die Demokratie - bis hin zu lokalen (wie demografischen Veränderungen und den Anforderungen des Arbeitsmarktes), die allesamt den Hochschulsektor vor wachsende Anforderungen stellen, diesen zu begegnen. Das hohe Tempo der Veränderungen im globalen und lokalen Umfeld, in das die Hochschulen eingebettet sind, wirft die Frage auf, wie sichergestellt werden kann, dass der Hochschulsektor der Gesellschaft und ihren wachsenden Anforderungen am besten gerecht wird. Und damit stellt sich eine weitere Frage: Wie sollte die Hochschulbildung gesteuert werden, und insbesondere, wie (und in welchem Umfang) sollte die Regierung das Verhalten von und innerhalb der Hochschuleinrichtungen lenken, um sicherzustellen, dass sie zu den nationalen und regionalen (staatlichen) Zielen beitragen? Der Begriff "Steuerung" bezieht sich hier auf "die Lenkungs- und Steuerungsmechanismen, die von staatlichen oder regionalen Behörden eingesetzt werden, um die Richtung, die Prioritäten und die Leistung von Hochschuleinrichtungen zu gestalten".
In den letzten dreißig Jahren haben die Hochschulsysteme in Europa bedeutende Governance-Reformen durchlaufen. Sie wurden von zwei übergreifenden Reformprozessen beeinflusst: Zum einen entstanden sie als "Nebeneffekt" der Reformen des Bologna-Prozesses, und zum anderen wurden sie durch Ansätze des New Public Management (NPM) in öffentlichen Einrichtungen angestoßen. Während sich die Governance-Reformen in den europäischen Ländern aufgrund der bestehenden institutionellen Hinterlassenschaften, Werte und Traditionen erheblich unterscheiden, geht der gemeinsame Trend dahin, die direkte staatliche Kontrolle über die Hochschuleinrichtungen zu verringern und gleichzeitig die Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht zu stärken. Ein gemeinsamer Trend in ganz Europa ist der Aufstieg des "bewertenden Staates" mit konsolidierteren und verstärkten Qualitätssicherungsmaßnahmen für Hochschuleinrichtungen und strengeren Leistungsbewertungen des gesamten Hochschulsystems. Dieser Trend ist in den Reformen der österreichischen Hochschulverwaltung sichtbar.
Das österreichische Modell der Hochschulsteuerung kann als "hybrides Steuerungsmodell" mit eher zurückhaltenden politischen Instrumenten und begrenzten Reformen in Richtung leitungsbezogener, wettbewerbsorientierter Ansätze kategorisiert werden. Dieses Modell ist typisch für Länder, die durch die Humboldtsche Tradition der akademischen Selbstverwaltung, ein robustes (neo)korporatives Modell der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft mit aktiver Beteiligung von Interessenverbänden an hochschulpolitischen Prozessen (im Falle Österreichs die HSK und die ÖH) und eine anhaltend starke, historisch bedingte verwaltungsrechtliche Tradition gekennzeichnet sind. Die bürokratische Kultur der öffentlichen Verwaltung ist tief in der österreichischen Vergangenheit verwurzelt und spiegelt sich nach wie vor in den Governance-Strukturen und -Prozessen des Hochschulwesens wider, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß in verschiedenen Teilbereichen des Hochschulwesens und an verschiedenen Hochschulen. Als Staat mit mehreren Verwaltungsebenen (Bund und Bundesländer) ist die Aufteilung der Entscheidungsbefugnisse im Hochschulbereich noch komplexer.
Der Hochschulsektor in Österreich wird durch eine Kombination von Instrumenten gelenkt: (1) die einschlägigen Hochschulgesetze, (2) nationale Entwicklungspläne für den Hochschul- und Forschungsbereich, (3) Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Akkreditierung sowie zum Monitoring des Hochschulsystems, (4) Leistungsvereinbarungen, leistungsorientierte Finanzierung und wettbewerbsorientierte Forschungsförderung, (5) direkte Finanzierung neuer Einrichtungen von strategischem Interesse und (6) eine nationale Hochschulkonferenz.
Ad (1): Was die Hochschulgesetzgebung betrifft, so wurde mit den Universitäts(organisations)gesetzen von 1993 und 2002 die institutionelle Autonomie der Universitäten gestärkt und gleichzeitig eine stärkere Rechenschaftspflicht durchgesetzt. Mit dem Universitätsgesetz von 2002 wurden insbesondere Universitätsräte in die institutionelle Leitung der Universitäten eingeführt, deren Mitglieder gemeinsam vom Ministerium und den akademischen Senaten ernannt werden; diese Gremien ernennen die Rektoren, anstatt dass die Rektoren von internen Wahlkreisen gewählt werden. Das Gesetz verlieh den öffentlichen Hochschuleinrichtungen auch den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts.
Ad (2): Der Österreichische Hochschulplan 2023 ist eine wichtige Neuerung als Steuerungsinstrument. Er bietet eine umfassende Strategie für die koordinierte Entwicklung aller vier Sektoren des österreichischen Hochschulraums. Er dient als Grundlage für die Entwicklungspläne der Universitäten und Fachhochschulen und andere strategische Dokumente zu spezifischen politischen Zielen und steht im Einklang mit der FTI-Strategie 2030. Obwohl der Zeitrahmen des Plans relativ lang ist (Sieben Jahre), bietet er eindeutige Verpflichtungen zu wichtigen Zielen, wie Lehre und Forschung im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen, einschließlich digitaler und grüner Transformationen, die die Ausarbeitung spezifischerer strategischer Pläne ermöglichen.
Ad (3): Kontinuierliche Reformen des Qualitätssicherungs- und Akkreditierungssystems haben das Qualitätssicherungssystem in Österreich gestärkt und aufgewertet. Österreich verfügt über ein sehr fortschrittliches System zur Überwachung der Leistung des Hochschulsystems und der Hochschuleinrichtungen ("Wissensbilanz"). Es basiert auf einem einheitlichen Datenerfassungsinstrument für die wichtigsten Leistungsindikatoren, und die gesammelten Daten fließen in das offen zugängliche unidata-Portal ein. Diese Daten werden in Leistungsberichten und als Nachweis für die Überprüfung der Umsetzung von Leistungsvereinbarungen verwendet und können für die institutionelle Forschung im weiteren Sinne genutzt werden. Was durch die Qualitätssicherung evaluiert und was in Form der zentralen Leistungsindikatoren durch die nationale Datenerhebung gemessen wird, hat eine wichtige Steuerungswirkung auf die Hochschulen.
Ad (4): Ein zentrales Steuerungsinstrument für die öffentlichen Universitäten und Fachhochschulen sind die Leistungsvereinbarungen, die alle drei Jahre zwischen diesen Institutionen und dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ausgehandelt werden. Die Grundzüge dieser Vereinbarungen orientieren sich am Gesamtösterreichischen Universitätsentwicklungsplan (GUEP). Die Leistungsvereinbarungen bilden die Grundlage für die Entwicklungspläne der Hochschulen und bestimmen die zur Erreichung der Entwicklungsziele erforderlichen Mittel. Der Einfluss der Leistungsvereinbarungen wird durch das indikatorengesteuerte leistungsbezogene Finanzierungssystem verstärkt, das "kapazitätsorientiert und studierendenbezogen" ist. Die Finanzierung ist an die institutionellen Ergebnisse bei grundlegenden und wettbewerbsorientierten Leistungsindikatoren gebunden. Die Wettbewerbsindikatoren werden in regelmäßigen Abständen anhand gemeinsam vereinbarter Ziele bewertet. Diese Regelung ermöglicht eine erhebliche staatliche Steuerung. Der Anteil der Mittel für Infrastruktur und strategische Entwicklung ist jedoch relativ gering, was Zweifel an ausreichenden Innovationsanreizen für die Hochschulen aufkommen lässt. Auch die Verfügbarkeit nationaler wettbewerbsfähiger Forschungsmittel ist in Österreich im Vergleich zu den europäischen Ländern mit der höchsten Verfügbarkeit wettbewerbsfähiger Forschungsmittel (z. B. den Niederlanden) relativ gering. Diese Situation deutet darauf hin, dass die Finanzierung spezieller Initiativen und Infrastrukturen sowie die wettbewerbsorientierte Forschungsförderung als Steuerungsinstrumente zur Erfüllung nationaler (oder regionaler) Prioritäten im Vergleich zum Einfluss der EU-Finanzierung begrenzt sind.
Ad (5): Das neue Institute of Digital Sciences Austria, das auf der Grundlage eines Bundesgesetzes gegründet und gemeinsam von der österreichischen Bundesregierung und dem Land Oberösterreich finanziert wurde, ist ein beispielhaftes Modell für die staatliche Lenkung eines bedeutenden Wandels im Hochschulsektor, um langfristig zu den nationalen strategischen Prioritäten beizutragen. Diese Pionieruniversität weist alle Merkmale einer innovativen und zukunftsorientierten Universität auf und respektiert gleichzeitig die österreichischen Werte einer zugänglichen Hochschulbildung und trägt zum regionalen Zusammenhalt in Österreich bei. Da die Zusammenarbeit mit anderen österreichischen Hochschuleinrichtungen im Mittelpunkt des Auftrags steht, ist zu erwarten, dass das Institute of Digital Sciences Austria auch in ihren Partnereinrichtungen organisatorische und inhaltliche Reformen anregen und so das gesamte österreichische Wissenschafts- und Innovationssystem ergänzen und zu dessen Entwicklung beitragen wird.
Ad (6): Die Österreichische Hochschulkonferenz (HSK) ist ein wichtiges Lenkungsgremium, das Vertreter des Ministeriums und der Interessenverbände des Hochschulwesens zusammenbringt. Die zunehmenden gesellschaftlichen Herausforderungen und Anforderungen an die Hochschulbildung erfordern eher eine Art "politisches Netzwerk", um die Fähigkeiten zur Planung und Bewältigung komplexer Herausforderungen zu stärken und den Austausch von Ideen und gegenseitiges Lernen zu ermöglichen. Die HSK stellt eine staatliche Steuerung dar, die auf der Schaffung einer Plattform und der Erleichterung der freiwilligen Zusammenarbeit zwischen den Akteuren des Hochschulwesens basiert, um gemeinsam hochschulpolitische Ziele und Strategien zu deren Umsetzung zu definieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuellen Herausforderungen und rasanten Entwicklungen - wie die Verbreitung von Bildungstechnologie und die Einführung von KI in die Hochschulbildung - ein Überdenken der bestehenden Modelle der Hochschulsteuerung und der staatlichen Lenkung des Hochschulsektors erfordern. Die Regierung sollte über Hebel verfügen, um Anreize und Unterstützung für die Hochschulen zu schaffen, damit diese innerhalb weniger Monate nach dem Auftreten neuer gesellschaftlicher Herausforderungen oder Chancen neue Initiativen in den Bereichen Forschung, Lehre und Dienstleistungen entwickeln. Ebenso sollten die Hochschuleinrichtungen die Möglichkeit haben, sich um Mittel für "strategische Initiativen" zu bewerben, um bahnbrechende Ideen von gesellschaftlicher Bedeutung zu entwickeln.
Die zielorientierte Politik-Netzwerk-Governance im Rahmen des Krisenmanagements während der COVID-19-Pandemie bietet wichtige Erkenntnisse darüber, wie man gemeinsam Flexibilität und Agilität im Sektor aufbauen kann, um auf die laufenden und neu entstehenden Herausforderungen zu reagieren. Es wäre wichtig zu prüfen, ob einige der Praktiken aus dem Krisenmanagement während der COVID-19-Pandemie übernommen werden könnten, um z. B. neu entstehende Herausforderungen zu bewältigen, wie den Einsatz von KI in der Hochschulbildung im Besonderen und die Entwicklung von Bildungstechnologie im Allgemeinen.
Darüber hinaus müssen die Steuerungsinstrumente des Ministeriums, wie z. B. die Leistungsvereinbarungen, auf die Hochschulen als zunehmend "vernetzte Institutionen" übertragen werden. Die Realität ist, dass viele österreichische Hochschulen bereits als Mitglieder der Europäischen Hochschulallianzen agieren, wobei sich ihre strukturellen Merkmale in vernetzte Strukturen verwandeln. Oder, wie im Fall des Institute of Digital Sciences Austria, sind die Entwicklungspläne der Hochschulen darauf ausgerichtet, als Knotenpunkte mit tiefen, vielschichtigen Partnerschaften mit Institutionen aus anderen Sektoren zu agieren. Solche Bestrebungen sind von der Regierung zu fördern und zu unterstützen und in den Leistungsindikatoren und Qualitätssicherungsstandards zu berücksichtigen.
Die Berichtslegungserfordernisse und Datenerhebungssysteme müssen regelmäßig und unter umfassender Einbeziehung der Beteiligten überprüft werden. Dabei geht es nicht nur darum, die Relevanz der Indikatoren zu gewährleisten, sondern auch darum, festzustellen, ob die Berichterstattungs- und institutionellen Forschungsprozesse eine professionellere, unternehmerischere Kultur der Hochschulverwaltung fördern oder ihre eher bürokratischen Orientierungen beibehalten.
Schließlich spiegelt der österreichische Hochschulsektor die Errungenschaften Österreichs als eines der Länder mit dem höchsten Lebensstandard, der höchsten Lebensqualität, mit hohem sozialen Fortschritt und kulturellem Reichtum wider. Der Sektor hat dazu beigetragen, dass die österreichische Bevölkerung über ein hohes Bildungsniveau und hoch qualifizierte Arbeitskräfte verfügt. Um mit den rasanten globalen Entwicklungen Schritt zu halten, muss der österreichische Hochschulsektor auf seine Fähigkeit zur Innovation und zur Unterstützung von Innovationen in anderen Sektoren, seine allgemeine Agilität, seine Fähigkeit zur kulturellen Einflussnahme und zur Markenbildung des Sektors im In- und Ausland achten.