Gastbeitrag
Kurzbiografie Oliver Janoschka
Oliver Janoschka ist seit seiner Gründung im Jahr 2014 Geschäftsstellenleiter des Hochschulforums Digitalisierung. Vorher arbeitete er für mehr als sieben Jahre im Bereich Hochschulbildung in verschiedenen europäischen Mitgliedsstaaten. Er verantwortete internationale Policy-Projekte, zum Beispiel als Projektleiter bei der European Association on Lifelong Learning in Higher Education (EUCEN) in Barcelona und Brüssel oder als Dozent und Projektkoordinator für die Robert Bosch Stiftung im Westbalkan. Er studierte Bildungsmanagement, Soziologie und Psychologie an der Universität Hamburg. Im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. leitet Oliver Janoschka den Programmbereich Digitale Transformation und Innovative Lernorte.
Hochschulen und die digitale Transformation
Die Entwicklungen im Jahr 2023 hatten es zweifellos in sich: Die für Expertinnen und Experten vielleicht erahnbare, aber für Nutzerinnen und Nutzer erstmalig auf die Straße gebrachte Leistungsfähigkeit einer neuen Generation von generativer KI in Gestalt von ChatGPT markiert eine Disruption in der technologisch getriebenen (digitalen) Transformation der Hochschulen. Die Auswirkungen auf unsere Gesellschaften und das Hochschulsystem im Besonderen sind bis heute noch nicht vollumfassend absehbar, aber die zentrale Herausforderung ist deutlich: Wie produktiv und vorausschauend umgehen mit Technologien, die sich in rasanter Geschwindigkeit und in immer kürzeren Zyklen verändern? Gerade Hochschulen stehen im Zentrum dieser Anforderung. Einerseits müssen sie neue Wege finden, um Veränderungen in ihre komplexen Strukturen zu integrieren und ihren Anspruch auf Qualitätssicherung zu bewahren. Gleichzeitig sollten sie ihrer gesellschaftlichen Rolle als Vorreiter und Orientierungsinstanz gerecht werden, d. h. den Wandel mitgestalten und einordnen.
Krisen sind das „neue Normal“
Doch schon länger trat dieses Spannungsfeld bei verschiedenen Gelegenheiten hervor. So stellte die rasante Veränderung während der Corona-Pandemie die Hochschulen vor nie dagewesene Herausforderungen und führte quasi über Nacht zu beispiellosen kollektiven Lernerfahrungen: Mit dem Sommersemester 2020 wurden Universitäten zu digitalen Lehr- und Lernlaboren; Lehrende wie Studierende und alle beteiligten Hochschulvertreterinnen und Hochschulvertreter mussten sich innerhalb kürzester Zeit mit digitaler Lehre im Ausnahmezustand auseinandersetzen.
Weitet man den Blick noch ein wenig, so kommen noch weitere Krisen hinzu: Der Krieg gegen die Ukraine, die Klima- oder die Energiekrise: Krisen sind eine neue Realität geworden und führen uns vor Augen, wie wichtig Agilität und Resilienz der Institutionen sind, um die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen sicherzustellen.
Digitale Transformation als Change-Prozess
Schon lange ist klar: Digitalisierung berührt als Querschnittsthema zahlreiche Anliegen der Hochschulentwicklung. Strategisch klug eingesetzt kann sie dazu beitragen, Lehre und Verwaltung effizienter zu machen, Studierende bedarfsorientiert auszubilden, flexiblere Lernmöglichkeiten zu schaffen, Zugänglichkeit und Inklusivität von Hochschulen zu verbessern und die (inter)nationale Vernetzung zu stärken.
Wo stehen die Hochschulen aktuell in der Digitalisierung von Studium und Lehre? Im „Monitor Digitalisierung 360“, veröffentlicht durch das Hochschulforum Digitalisierung (HFD) im März 2023, wird deutlich, dass die Frage nach dem Stand der Digitalisierung von Studium und Lehre an deutschen Hochschulen Differenzierungen notwendig macht (Hochschulforum Digitalisierung, n. d.). Eine erfreuliche Entwicklung besteht darin, dass die Potenziale inzwischen (fast) überall erkannt wurden: Nahezu alle deutschen Hochschulen setzen sich laut der Befragung strategisch mit der Digitalisierung in Studium und Lehre auseinander. Der HFD-Monitor zeigt aber auch: Wir stehen erst am Anfang des ganzheitlichen Wandels. Denn Strategien müssen umgesetzt und in gelebte Praxis überführt werden. Und auch wenn technische Infrastruktur und Support Voraussetzungen für die Umsetzung sind, erfordert die digitale Transformation eben mehr, nämlich eine Veränderung in der gesamten Organisation, in der Lehr- und Lernkultur.
Ein Zielbild könnte das der „Blended University“ sein – die Hochschule, die in ihrer Gesamtheit digitale und analoge Elemente nahtlos verzahnt – in Studium, Lehre, Verwaltung und Forschung. Die digitale Transformation erfordert einen Kulturwandel. Die Dichotomie von Präsenz und Online muss im Denken und Handeln aufgelöst werden, so wie dies im Grunde schon lange unserer Lebensrealität entspricht. Die Flexibilität des hybriden Campus als Zielbild erfordert geeignete Mittel wie Experimentierräume zur Weiterentwicklung. Werden der Stellenwert digital gestützter Lehre strategisch gestärkt und entsprechende Anreiz- sowie Anerkennungssysteme geschaffen, kann die Weiterentwicklung der eigenen Lehre nicht nur unterstützt, sondern auch attraktiv gestaltet werden.
Wie kann die digitale Transformation gelingen?
Wie können die Hochschulen begleitet und befördert werden, um die digitale Transformation zu meistern? Für die deutschen Hochschulen bietet der Bericht „Empfehlungen zur Digitalisierung in Lehre und Studium“ des Wissenschaftsrats aus dem Juli 2022 einen umfassenden Überblick und Handlungsempfehlungen, die auch für Nachbarländer mit anderen Hochschulsystemen Anregungen bieten (Wissenschaftsrat, 2022).
In Österreich sind die digitale Transformation und ihre aktive Gestaltung ebenfalls strategisch als Systemziel im Gesamtösterreichischen Universitätsentwicklungsplan (GUEP) hinterlegt, und finden auch in den Leistungsvereinbarungen und institutionellen Förderungen wie der BMBWF-Förderlinie „Digitale und soziale Transformation in der Hochschulbildung“ in 34 richtungsweisenden Projekten ihren Niederschlag. Die enge Verknüpfung der einzelnen Mechanismen im österreichischen Hochschulsystem und die explizite Konzeption der Förderprojekte als Kooperationsvorhaben, denen sich im Verlauf weitere Universitäten anschließen können, sind hier besonders hervorhebenswert.
Im deutschen, föderal organisierten Bildungssystem mit über 420 Hochschulen sind hochschulübergreifende Unterstützungsstrukturen essenziell, um Verzahnung und Austausch sicherzustellen. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Hochschulforum Digitalisierung die deutschen Hochschulen seit 2014 als bundesweiter Think- und Do-Tank darin, die Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation effektiver und effizienter zu meistern. In Zusammenarbeit mit einer breiten Hochschulcommunity erscheinen mir in der Gestaltung der digitalen Transformation drei Aspekte besonders zentral:
Die digitale Transformation ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die kooperativ gestaltet werden muss. Alle Statusgruppen müssen in Prozessen der Hochschulentwicklung und Zukunftsgestaltung adressiert werden, um lösungsorientierte Antworten auf die veränderten Bedarfe und Anforderung der digital geprägten Welt zu finden. Die Einbindung von Studierenden als Mitgestalterinnen und Mitgestalter ist hierbei eine besondere Chance und ein essenzieller Baustein für eine nutzendenzentrierte Hochschulbildung, die neben Innovationskraft auch oft ein anderes Tempo in Veränderungsvorhaben bringt.
Hochschulorganisation muss agiler und effizienter funktionieren. Wir brauchen eine leistungsstarke Hochschulgovernance, die über Institutions- und Landesgrenzen interoperabel zusammenwirkt, und langfristige, verlässliche Infrastrukturen. Um Innovationen in der Hochschullehre weiterhin zu fördern und Lehrenden bei dem souveränen Umgang mit digital angereicherter Lehre zu unterstützen, bedarf es langfristig angelegter Support-Strukturen.
International collaboration is key
Klar ist: Die Herausforderungen der digitalen Transformation im Hochschulbereich überschreiten Ländergrenzen. Anders als in anderen Regionen der Welt haben wir in Europa (und darüber hinaus) mit dem Bologna-Prozess einen Hochschulraum geschaffen, der für eine engere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene prädestiniert ist und den Austausch zu guter Praxis, die Verständigung hin zu gemeinsamen Standards und die Nutzung von Synergien ermöglicht.
Gehemmt werden Kooperationen oft durch institutionelle Profile und Prioritäten, interne Prozesse sowie Unterschiede in nationalen, regionalen und institutionellen Rahmenbedingungen. In der 2023 erschienenen Studie „Interoperabilität in der Hochschulbildung“ (Berger et al., 2023) hat das HFD Herausforderungen in der Interoperabilität zwischen Hochschulen in Europa analysiert und Empfehlungen für einen zukunftsfähigen, modernen und offenen Europäischen Hochschulraum abgeleitet.
Interoperabilität ist dabei kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um die nationale und internationale Zusammenarbeit von Hochschulen mit einer gemeinsamen Handschrift voranzutreiben. Um die digitale Transformation nachhaltig zu gestalten, brauchen wir eine Kultur der Kollaboration, die Stärken bündelt, Services in der Breite ermöglicht und neue Räume für Innovation schafft.
Zur Vision eines offenen, internationalen und wettbewerbsfähigen Hochschulsystems, ermöglicht durch eine erhöhte Interoperabilität, gehört auch eine europaweit kooperative Entwicklung und Verbreitung von Best Practices. Einen Raum zum Austausch von Erfahrungen und guten Beispielen im Bereich Digitale Bildung bieten der European Digital Education Hub (European Commission, n.d. [a]), aber auch Konferenzen, wie das University:Future Festival für den DACH-Raum (https://festival.hfd.digital/de/).
Zur Gestaltung der digitalen Transformation in den deutschen und österreichischen Hochschulen bedarf es einer agilen Herangehensweise, die Lehrende, Studierende, Hochschulleitungen und Supportmitarbeitende gleichermaßen einbindet. Besonderes Augenmerk fällt dabei auf die Weiterentwicklung förderlicher Rahmenbedingungen sowie die Stärkung nationaler wie europäischer Kooperationen. Sie sind Treiber für eine nachhaltige digitale Transformation im Hochschulbereich.
Um zum Anfang zurückzukehren: Der Blick auf die Bewältigungsfähigkeit in Krisenzeiten zeigt, worauf es in Zukunft mehr denn je ankommt: Gemeinsam die Zukunft der Hochschulbildung zu gestalten. Es geht darum, die Chancen der digitalen Transformation auszuschöpfen. Das ist nicht nur eine temporäre Herausforderung in Krisenzeiten, sondern ein dauerhaftes und lohnendes Kollaborationsprojekt.