10.1.1 Hochschulbildung im Kontext des Europäischen Hochschulraums

Der Bologna-Prozess zur Schaffung eines EHR jährte sich 2019 zum zwanzigsten Mal. Aus diesem Anlass fand im BMBWF eine feierliche Jubiläumsveranstaltung unter Anwesenheit von Expertinnen und Experten der ersten Stunde bis jetzt sowohl von Ministerien als auch vonseiten der Hochschulen statt. 1999 begann ein einzigartiger Prozess zur Konvergenz und Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme von 48 Ländern, der trotz – oder gerade wegen – der Freiwilligkeit der Maßnahmen große Erfolge gezeitigt hat. Die für Hochschulbildung zuständigen Ministerinnen und Minister hatten bereits bei ihrer Konferenz in Jerewan 2015 die Weichen für die Umsetzung wichtiger neuer Bologna-Instrumente gesetzt, die in weiterer Folge beim darauffolgenden Treffen in Paris im Mai 2018 entscheidende Unterstützung bekamen. Es handelt sich um die stärkere Fokussierung auf Schlüsselinstrumente wie die Studienarchitektur, Qualitätssicherung und Anerkennung sowie die Schärfung der sozialen Dimension und die Relevanz und Qualität von Lehre und Lernen, wobei natürlich auch die Erledigung noch nicht beendeter Aufgaben immer einen Teil der Agenda darstellt. Obwohl sich die Umsetzung der Ziele und Politiken zur Realisierung dieses großen, transnationalen europäischen Prozesses immer stärker von der europäischen und nationalen Ebene auf jene der Hochschulen verlegt, wird es auch weiterhin wichtig sein, in regelmäßigen Abständen politische Signale zu setzen, jedoch mit geringerer Frequenz. Diese politischen Impulse erfolgen über die Ministerinnen- und Ministerkonferenzen, die europäische Bologna Follow-up Gruppe und die jeweiligen nationalen Ministerien und Bologna-Arbeitsgruppen.

Schwerpunkte der EHR-Ministerinnen- und Ministerkonferenz in Paris 2018 und des nachfolgenden Arbeitsprogramms
Das Treffen in Paris fand Ende Mai 2018 statt, 20 Jahre nach der Unterzeichnung der Sorbonne-Erklärung, die 1998 die Basis für die Bologna-Erklärung war. Es wurde ein Kommuniqué verabschiedet, welches das erste Mal entschieden auf die Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen für Studierende, die stärkere Priorisierung der Lehre und des Lernens und auf den Umstand einging, die Umsetzung der Schlüsselelemente des Europäischen Hochschulraums – Studienarchitektur, Qualitätssicherung, Anerkennung – entscheidend zu verbessern. Seine Inhalte erwuchsen nicht nur aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppen, die nach Jerewan 2015 tätig waren, sondern auch aus der kontinuierlichen Befassung mit noch nicht vollständig umgesetzten Instrumenten und Politiken des EHR. Der im Kommuniqué zum Ausdruck gebrachte politische Wille der für Hochschulbildung zuständigen Ministerinnen und Minister manifestierte sich in der Bildung folgender Arbeitsgruppen, deren Einsetzung während der Sitzung der Bologna Follow-up Gruppe während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft am 27. und 28. September 2018 in Wien beschlossen wurde:
•    Die Arbeitsgruppe (AG) Monitoring wurde nicht nur mit der Datensammlung für den Bericht über die Umsetzung der Bologna-Ziele und -Politiken im Zeitraum 2018–2020 befasst, sondern auch mit der Abbildung einiger Entwicklungen über längere Zeiträume hinweg, um dem Jubiläumscharakter dieses besonderen Berichts gerecht zu werden. Durch den besonderen und unvorhergesehenen Umstand der COVID-19-Krise wurde die ursprünglich für Ende Juni 2020 geplante Konferenz in Rom auf Ende November 2020 vertagt.
•    Die AG Soziale Dimension bekam den Auftrag, Vorschläge für Rahmenbedingungen zu schaffen, die gewährleisten, dass die Studierendenkohorten an den Hochschulen dieselbe soziale Durchmischung aufweisen wie die allgemeine Bevölkerung. Niemandem soll bei entsprechender Eignung aus finanziellen, sozialen oder anderen Gründen der Zugang zu einer Hochschulausbildung verwehrt werden.
•    Die AG Lehre und Lernen soll Curricula, die Lehrenden und Lernenden stärker in den Mittelpunkt rücken und gezielter auf ihre speziellen Bedürfnisse eingehen. Ein Aspekt, der schon länger im Rahmen des Student-Centered Learning gefordert wird. Dazu gehören auch Aspekte wie Interdisziplinarität, Digitalisierung und die Qualität der Lehre.
•    Da bei einigen Themen noch Nachholbedarf bestand, wurden Peer Learning-Aktivitäten mit Beteiligung aller Länder zu den Schlüsselinstrumenten des EHR (dreigliedrige Studienstruktur, Qualitätssicherung und Anerkennung) ins Leben gerufen. Die Aktivitäten werden von der „Bologna Implementation Coordination Group“ (BICG) geleitet.
•    Die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen Regionen der Welt und ihre Umsetzung, die für den EHR unabdingbar ist, wird mit der AG Global Policy Dialogue weitergeführt. 

Weitere wichtige Punkte waren die Diskussion der akademischen Grundwerte wie Autonomie und Integrität, die Fokussierung auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen im Bildungsbereich und die Aufgabe der Hochschulen, bei der Bewältigung der großen Probleme, denen sich unsere Gesellschaften zusehends gegenübersehen, eine größere und verantwortungsvollere Rolle zu spielen. Wie auch bisher hat Österreich in fast alle AGs Expertinnen und Experten entsandt und in der BICG für die Peer Learning Activities einen Co-Vorsitz inne.